Die Gründung des Heilig-Geist-Spitals(in heutiger
Sprache erzählt von
Manfred Mümmler)
Da Konrad aus der Familie der
Heinzen ein stattlicher Mann war, der alle um einen Kopf
überragte, erhielt er den Bainamen Groß. Hinter seinem Rücken
tuschelte man jedoch immer wieder über ihn und nannte ihn
abfällig den "Grindigen Heinz", weil er unter einem ganz
schlimmen Hautausschlag litt, der ihm schwer zu schaffen machte.
Fast alle Menschen gingen ihm aus dem Weg, sogar Bekannte und
einstige Freunde mieden ihn. Niemand konnte ihm helfen, kein
Arzt wusste Rat, fast alle, denen er begegnete, verspotteten ihn
oder wollten überhaupt nichts mit ihm zu tun haben, so dass er
immer einsamer wurde.
Da er aber einer alteingesessenen Familie angehörte,
besaß er einen wunderschönen Garten vor den Toren der Stadt, in
den er sich immer öfter zurückzog, die Pflanzen pflegte und den
Vögeln zuhörte.
Als er eines Tages wieder einmal in der wärmenden Sonne
saß, schlief er ein. Er hatte einen wundervollen Traum, sah sich
dabei durch den Garten spazieren und das Blütemeer der Blumen
genießen. Doch plötzlich machte er halt, denn er hatte eine
Eichentruhe in der Erde entdeckt. Er öffnete sie und staunte
nicht schlecht über die Gold- und Silbermünzen. Ein wahrer
Schatz!
Es packte ihn jedoch die Angst, er könnte aufwachen und
den Platz der Truhe nicht mehr finden. So streifte er eine
Handvoll Lindenblätter vom nahen Baum — es waren genau dreizehn
Stück — und streute diese auf die Stelle, wo er die Truhe
gesehen hatte.
Konrad erwachte aus seinem Traum, doch das Wesentliche
war ihm im Gedächtnis geblieben. Er sprang auf, durchquerte den
Garten und suchte nach der Stelle, wo er sich selbst im Traum
hatte stehen sehen. Und tatsächlich: er fand einen Haufen
frischer Lindeblätter im Gras. Er holte einen Spaten und begann
zu graben. Es dauerte auch nicht lange bis er auf die Holztruhe
stieß. Er schaffte es kaum, sie aus dem Loch zu wuchten, so
schwer war sie. Ungeduldig öffnete er den Deckel und war gar
nicht mehr erstaunt, dass sie bis zum Rand voller Münzen war.
Schließlich hatte er das ja schon einmal im Traum erlebt! Zu
seinem bisherigen gediegenem Besitz war jetzt noch ein richtiger
Schatz hinzugekommen.
Konrad Groß war aber nicht der Mann, der all dies für
sich behalten wollte. Er selbst wusste am Besten, was es
bedeutete, wegen einer Krankheit gemieden und von der
Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, so dass er für Kranke,
Sieche und alte viel übrig hatte. Deshalb kaufte er an der
Pegnitz ein Grundstück und ließ darauf das Heilig-Geist-Spital
errichten. Er nannte es so, weil er glaubte, der heilige Geist
hätte ihm im Traum die Stelle gezeigt, wo er die Schatztruhe
fand.
Und wer gibt, dem wird auch gegeben. Eines Tages wurde
eine alte Frau im Spital aufgenommen, die sich ihr ganzes Leben
lang mit Heilkräutern beschäftigt hatte. Sie mixte aus allerlei
Pflanzen und Fetten eine Salbe, mit der sich der Grindige Heinz
mehrmals am Tag einreiben sollte. Schon nach wenigen Tagen
heilten die schrecklichen Wunden ab und nach einigen Wochen
hatte er eine reine und ganz zarte Haut.
Als der Kaiser von diesem Wunder erfuhr, verlieh er
Konrad Groß das Recht, ein Wappen zu führen. Natürlich wähle
dieser einen Lindezweig mit dreizehn Blättern, wie man heute
noch an verschiedenen Stellen sehen kann.
Teufelswerk im Heidenturm
(in heutiger
Sprache erzählt von
Manfred Mümmler)
Ein ganz
seltsamer Ring umspannt eine der Marmorsäulen in der
Kaiserkapelle der Nürnberger Burg. Manche behaupten, der Ring
müsse die Säule zusammenhalten, weil sie an dieser Stelle
auseinander gebrochen war; und sie liefern auch gleich die
Erklärung dafür:
Der Kaiser, der immer wieder mehrere Wochen lang auf
seiner Lieblingsburg residierte, verabscheute die düstere dunkle
Kapelle im Untergeschoß. Außerdem war sie viel zu niedrig, dumpf
und stickig.
So befahl er dem Burgkaplan, dafür zu sorgen, direkt
über der alten Kapelle eine helle, freundliche bauen zu lassen,
die dem Kaiser und seinem Gefolge genügend Platz bietet.
Bedingung war außerdem: es mussten Säulen aus kostbarstem
italienischen Marmor das Deckengewölbe stützen. Schließlich war
es ja der Kaiser, der hier dem Gottesdienst beiwohnte. Der hohe
Herr fügte hinzu: "Wenn ich wieder hier in Nürnberg einziehe,
dann will ich die neue Kapelle einweihen. Sieh also zu, dass du
mit der Arbeit vorankommst!"
Der Kaplan fackelte auch nicht lange und bestellte die
besten Baumeister zu sich, die sofort Pläne entwarfen und bald
mit Bauarbeiten begannen. Diese gingen auch gar nicht schlecht
voran. Doch der Wunsch des Kaisers nach italienischen
Marmorsäulen schien ihnen unerfüllbar zu sein, zumal die Wege
sumpfig waren, so dass der Transport unmöglich war.
Die Zeit ging dahin, die Kapelle war fertig. Sogar für
das Dach brauchte man keine Stützen, denn die Baumeister hatten
es verstanden, das Gewölbe so zu konstruieren, dass es sich
selbst trug und elegant über die Kapelle wölbte. Aber es fehlten
immer noch die vom Kaiser ausdrücklich verlangten Marmorsäulen.
Und schon kündigte ein vorausreitender Bote die baldige
Ankunft des Herrschers an. Es war zum Verzweifeln! Wenn der
Kaplan den Wunsch des Kaisers nicht erfüllte, könnte sich dessen
Zorn gegen den Gottesmann ganz persönlich richten. Und was das
bedeutete, malte er sich schon in allen schrecklichen
Einzelheiten aus!
So irrte er durch den Burghof, lenkte seine Schritte
immer wieder in die fertige Kapelle, schaute verzweifelt in den
Himmel, machte hilflose Armbewegungen und ließ sich schließlich
in einer dunklen Ecke der unteren, düsteren Kapelle mit einem
lauten Seufzer auf einem Stein nieder.
Verschwommen nahm er eine Gestalt wahr, die an der
gegenüberliegenden Wand lehnte und mitleidvoll zu ihm
herüberblickte. Der Kaplan glaubte dort einen Baumeister zu
erkennen. Doch das Gesicht war in Dunkel der düsteren Kapelle
nicht auszumachen. Die Gestallt begann langsam zu sprechen: "Ich
habe gehört, was dich bedrückt. Ich kann dir helfen. Du musst
mir nur den Eintrag dafür geben." Der Kaplan war nicht einmal
erschrocken, so sanft und schmeichlerisch hatte der Mann
gesprochen. Als dieser jedoch näher trat, zuckte der Gottesmann
fürchterlich zusammen, denn er erkannte die Fratze des Teufels.
Dessen Worte waren auch allmählich fordernder und wirkten
bedrohlicher: "Ich besorge dir die schönsten italienischen
Marmorsäulen bis zur Einkunft des Kaisers. Du musst mit mir nur
eine Wette abschließen. Ich wette, dass ich deine heiß begehrten
Säulen schneller herbeischaffe als du mit dem Lesen deiner Messe
fertig bist. Aber da du ungeheuer schnell mit der Zunge bist,
kannst du leicht auf die Wette eingehen. Wie gesagt, wenn du
schneller fertig bist mit deines Messe als ich Säulen —
natürlich eine nach der anderen — herbeischaffe, gehören diese
dir. Sollte indes ich schneller sein, gehört mir deine Seele.
Beim letzten Satz trieb es dem Kaplan den Angstschweiß
auf die Stirn. Von solchen Wetten des Teufels hatte er nämlich
schon gehört. Und in der Regel hatte dieser die Wette gewonnen.
Aber der arme Kaplan war total verzweifelt, so dass er
keinen anderen Ausweg mehr wusste als auf die Wette einzugehen.
Außerdem tröstete er sich damit, dass es dem Teufel wohl kaum
gelingen könne, vier Säulen einzeln in der gleichen Zeit aus dem
fernen Italien nach Nürnberg zu transportieren während er die
Messe las!
"Also, es gilt!" sagte schließlich der Kaplan mit
leiser Stimme. Er legte sich auch gleich das Messegewand um, und
als er mit dem Lesen begann, brauste der Teufel davon. Doch kaum
hatte jener die ersten Worte gesprochen, hörte er ein
schreckliches Donnern, Brausen und Krachen. Die erste Säule
stand an ihrem Platz! Unbeeindruckt — so jedenfalls schien es —
las der tapfere Kaplan weiter. Immer schneller und schneller.
Er war noch nicht einmal halb fertig, als schon die
zweite Säule mit Donner und Blitz in die Kapelle krachte und auf
dem richtigen Platz landete. Das Brausen wurde immer
beängstigender, die Luft begann zu flimmern, der Boden
erzitterte. Die dritte Säule stand!
Dem Kaplan verschlug es regelrecht den Atem. Sein Kopf
drohte zu zerspringen, die Zunge schwoll ihm an und er glaubte,
kein Wort mehr herauszubringen. Doch bevor ihm ganz die Stimme
versagte, presste er mit letzter Kraft die Worte "Ite missa est"*
hervor. Dann sackte er bewusstlos zu Boden. Der Teufel, der mit
der vierten Säule auf der Schulter schon fast am Heidenturm
angekommen war — wieder natürlich mit unglaublichem Getöse und
lauten Donner — hörte diese letzten Worte des Kaplan, die die
Messe beendeten, und glaubte die Wette verloren zu haben. Voller
Zorn schleuderte er die Marmorsäule in die Kapelle, so dass das
kostbare Stück zerbrach.
Nach einiger Zeit erholte sich der Kaplan von seiner
Ohnmacht, erkannte geistesgegenwärtig die Situation und holte
einen Baumeister, der die Idee hatte, die Säule mit einem Ring
zu flicken. Schnell war diese aufgerichtet.
Es war aber auch die höchste Zeit, denn der Kaiser
stand mit seinem ganzen Gefolge vor den Toren der Reichsstadt.
Als er die wundervolle neue Kapelle — lichtdurchflutet
und elegant mit den vier kostbaren Marmorsälen geschmückt — sah,
war er von diesem Anblick so überwältigt, dass er alle
Beteiligten lobte und reich belohnte. Den Ring, der den Bruch
der Säule verdeckte, hatte der Kaiser offensichtlich nicht
gesehen.
*Ite missa est — Gehet hin in Frieden
Guten Morgen, Nürnberg
(Egon Helmhagen) |
Genauso wie sich jeder Nürnberger in der Früh wäscht, putzt und
kämmt, so macht es auch die Stadt. Genau wie jeder Päitersbou
schaut nämlich auch die Noris in der Früh um sechs Uhr noch a
wenig schlampert aus und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Da
liegen Papierfetzen und Plastikbecher auf den Straßen,
Pommes-Frittes-Tüten und Cola-Dosen, Zigarettenschachteln und
anderer undefinierbarer Kehricht. Bis dann die städtische
Reinigungsbrigade mit Müllautos und Kehrmaschinen an- und dem
Schmutz zu Leibe rückt.
Dann werden die Dreckcontainer und Kehrrichteimer ausgelehrt und
die Straßen gefegt. Der Stadt wird das Gesicht gewaschen und die
Nasenlöcher ausgeputzt. Die Nasenlöcher sind die
U-Bahn-Eingänge, aus denen auch so manche Überraschung ans
Tageslicht purzelt.
Dazwischen kurvt mit gelben Blinklicht geschäftig ein kleines
Auto mit einem großen Wasserbehälter von Pflanztrog zu
Pflanztrog, weckt die Blumen auf und bringt ihnen den
"Morgenkaffee".
Keinen Kaffee, aber Weckla und Worscht dazu gibt es bei den
Bäckern und Metzgern, die jetzt schon auf haben, genauso wie
Schreibwarengeschäfte und Reinigungen. Auf einmal sind nämlich
Leute in der Stadt, die zur Arbeit gehen. Die meisten schnell,
manche langsam. An einigen Baustellen fangen Bohrer zu rattern
an, Kräne neben Materialien hoch und an der Lorenzkirche hämmern
und klopfen, wie seit 700 Jahren, die Steinmetze.
Langsam füllt sich die Stadt mit immer mehr Leben und ihr
Kreislauf kommt in Schwung. Lieferautos kommen, Ladeneingänge
werden ausgekehrt, Schaufenster undekoriert, die Cafetiers und
Wirte stellen ihre Gärten vor die Türe und die Marktstände
werden mit Obst und Gemüse beschickt und bestückt. Die ersten
Hausfrauen kommen schon zum Einkaufen. "Freili, etz in der Fräih
is die Woar nu ganz frisch!"
An einem Blumenstand kauft ein Mann einen Strauß Nelken.
Entweder hat die Sekretärin Geburtstag oder die Putzfrau.
Vergessen darf er keine von beiden. Mittlerweile ist es acht
Uhr.
An der Lorenzkirche, neben dem Hauptportal, stellen
sich drei Pankladies auf. Sie sind schwarzgekleidet und weiß
geschminkt und ihre Haare schauen aus, wie ein umgedrehter, blau
lackierter Besen. Die Steinmetze schauen kopfschüttelnd hin. "Fräiher
hob'n mir solche Köpf' drob'n an der Kerch aus'n Sta rausg'haut!"
An Duda-Eck legt ein Bettler seinen Rucksack hin, setzt
einen kleinen Hund darauf und sich daneben. Dann hält er einen
Karton hoch, auf dem zu lesen ist: "Ich habe Hunger". Um halb
neun Uhr verschwindet er für eine Viertelstunde und nimmt dann
seinen Platz wieder ein. Die Steinmetze beobachten auch das. "Etz
werd er beim Verspern g'wes'n sei!" "Ja, nou mäißert er aber etz
af sein Pappadeck'l schreib'n 'Ich habe schon wieder Hunger'!"
Jetzt tauchen die Leute auf, die es sich erlauben
können, später in die Arbeit zu gehen. Vorgesetzte, Chefs und
andere Respektpersonen. Manche bleiben dabei vor jedem
Schaufenster stehen und kontrollieren, ob noch genauso schön
sind, wie gestern. Dazwischen flitzen ein paar Schüler auf ihren
Fahrrädern vorbei und ein Werbetrupp stellt Plakatständer auf,
worauf zu lesen ist, dass das Streikrecht unbedingt erhalten
werden muss.
Auf einer Bank lässt sich ein Penner nieder. Er stellt
seinen Hausrat, der er in zwei Plastiktüten dabei hat, neben
sich, zieht fröstelnd den Mantelkragen hoch und blinzelt dankbar
in die Sonne, die zwischen den Türmen von Sankt Lorenz
durchschaut. Da schlägt es von den Kirchen neun Uhr und die
Stadt ist endgültig wach. Guten Morgen, Nürnberg!
|